Mein Pelikan: Eine besondere Geschichte zu einer Füllfeder. Autorin: Ursula Stöhr

Ich war 10 und ging in die vierte Klasse.

Als Erst- und Zweitklässler schrieb ich auf einer Schiefertafel. Die Griffel dafür bekam ich im letzten Kindergartenjahr. Für zehn kleine graue Fleißzettel gab’s einen dünnen und für fünf große rosafarbige einen dicken Griffel.
Ich hatte zu Schulbeginn nur ein paar dünne. Die Fleißzettel hatten nämlich nichts mit Fleiß zu tun, sondern mit Bravsein. Und das mit dem Bravsein, das war so eine Sache.

In der dritten Klasse schrieb ich mit einem Federhalter. Das Tintenfass steckte in der Mitte des Schreibpults.
Wenn ich ihn nicht richtig hielt, gab’s hässliche Tintenkleckse im Heft, die ich mit einem Löschblatt aufsaugen musste.

In gespannter Erwartung öffnete ich das Päckchen, das unter dem Christbaum lag.
Ungläubig starrte ich auf die Schachtel, und obwohl die Aufschrift den Inhalt verriet, hob ich nur zögernd den Deckel.

Da lag er:
mein Pelikan, sein Gehäuse schimmerte grünlich und die Kappe glänzte schwarz. Vorsichtig schraubte ich das Gewinde auf, steckte die goldene Feder ins Tintenfass und drehte den Verschluss langsam wieder zu. Gebannt beobachtete ich, wie mein Pelikan die Tinte aufsog.

Meine Großeltern hatten mir meinen geheimsten Wunsch erfüllt!
Die Weihnachtsferien schienen mir auf einmal viel zu lang. Ich konnte es kaum erwarten, wieder in die Schule zu gehen.
Meine Schulkameradinnen beneideten mich um meine neue Füllfeder.

Ich habe meinen Pelikan noch heute.

Allerdings brauche ich zum Schreiben wieder ein Tintenfass, denn mein Pelikan schlürft die Tinte.

Ich liebe das leise Kratzen der Feder, wenn sie in gleichmäßigen Bewegungen über das feine Büttenpapier gleitet.

Schreiben ist ein Stück Kultur.

Kein Laptop ersetzt mir meinen Pelikan